400 Jahre Friedrichstadt
6. Wer hat Angst vor den Täufern?
Herzog Friedrich III. war nicht begeistert, als man ihm vorschlug, neben den Remonstranten auch ganz gezielt Mennoniten in Friedrichstadt anzusiedeln. Der Vorschlag kam wohl aus der Ecke eben dieser Remonstranten. Die zeigten sich bereits im Jahre 1620 in Bezug auf religiöse Ansichten weitgehend liberal und undogmatisch. In erster Linie erkannten sie in der Ansiedlung der Täufer einen wirtschaftlichen Vorteil für sich. Denn weder Gesellschaft noch Wirtschaft können funktionieren, wenn sie keinen Mittelbau besitzt. Der Adel hatte jedoch eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Er sah in den Mennoniten eine Gefahr für seine Machtstrukturen. In diesem Beitrag geht es darum, weshalb die politische Führung Angst vor den Täufern hatte, und warum Herzog Friedrich III. deshalb nicht bereit war, die Mennoniten in sein erstes Oktroi einzuschließen. Und weshalb die Remonstranten sich am Ende doch durchgesetzt haben.
Religiöse Umverteilung
Bereits in der 5. Geschichte habe ich davon erzählt, was die Thesen von Luther ausgelöst haben: einen Dammbruch. Die katholische Kirche und ihre Repräsentanten standen mit einem Male sprichwörtlich nackt da. All die Thesen, Rituale und Regeln, welche dazu gedient hatten, die Machtspiele und persönliche Bereicherung der Exponenten zu verdecken, wurden mit den 99 Thesen niedergerissen. Durch die Übersetzung der Bibel in eine Sprache, welche die Leute verstanden, bekamen die Menschen eine neue Sicht auf die Heilige Schrift. Das Vertrauen in die Pfaffen war dahin. Neue Verkünder, Prediger, Heilsbringer, Erlöser kamen ins Spiel.
Es ist angesichts der schamlosen Bereicherung, welche die katholische Kirche in dieser Zeit betrieben hat, nicht falsch, wenn man die Situation in etwa so umschreiben würde: Der Markt des christlichen Glaubens wurde neu verteilt. Und nicht alle, die ein Stück Kuchen davon beanspruchten, folgten dabei lediglich religiösen Motiven. Und nicht alle, welche es schafften, Menschen hinter ihren Anspruch auf die Wahrheit zu vereinen, besaßen dazu die notwendigen Eigenschaften.
Die Reformation ist weit mehr als Martin Luther
Es wäre deshalb falsch, die Reformation einzig und allein auf die bekanntesten Exponenten Luther, Zwingli oder Calvin zu reduzieren. Es entstanden Hunderte Unterarten des neuen christlichen Glaubens. Die allermeisten davon scheiterten schon nach kürzester Zeit. Einige entwickelten sich jedoch prächtig.
Wenn man Marktanteile gewinnen will, ist eine eingängige, einfache Botschaft hilfreich. Eine einfache Botschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie jeder nachvollziehen kann. Dass keine Interpretation notwendig ist. Im christlich religiösen Sinne: Wenn alle, die des Lesens mächtig sind, in der Heiligen Schrift auf Anhieb die Wahrheit erkennen.
Viele Gruppierungen haben genau dieses Erfolgsmodell gewählt und begonnen, die Bibelverse wortwörtlich zu interpretieren. Eine echte Herausforderung, bedenkt man, dass sich viele Teile der Bibel gegenseitig widersprechen, wenn man sie im wahrsten Sinne des Wortes beim Wort nimmt.
Die Täufer

Autor Maximilian Dörrbecker (Chumwa)
Eine starke Gruppierung, welche nach oder besser während der Reformation entstanden ist, sind die sogenannten Täufer. Die Bezeichnung Täufer leitet sich aus dem Umstand ab, dass ihr Glaube auf einer freien Entscheidung der Hinwendung zu Gott basiert. Diese freie Entscheidung ist nur möglich, wenn die Person ihr Handeln in ihrem vollen Umfang verstehen und nachvollziehen kann. Nach unserem Verständnis ist das ab dem Erwachsenenalter möglich. Der symbolische Akt des Bekenntnisses ist die Taufe. Die Täufer sehen nur die Erwachsenentaufe als zulässig an und lehnen die Kindstaufe ab, weil sie nicht dem freien Willen entspringt.
Die Täufer-Bewegung verfügte über jene einfache und plausible Botschaft, welche es den Predigern leicht machte, sie erfolgreich unter das Volk zu bringen. Denn die These dahinter ist, dass der Menschen niemand anderem verantwortlich und verpflichtet ist außer Gott. Eine äußerst revolutionäre These in einer ständisch geprägten Gesellschaft. Kein Wunder also, dass man die Täufer-Bewegung auch als den linken Flügel der Reformation bezeichnet.
Der Vergleich ist äußerst treffend. Denn die Täufer legten – wie etwa die sozialistischen Revolutionäre – den Finger auf eine real existierende Ungerechtigkeit, welche nun ihre göttliche Begründung verloren hatte. Und wie man das im letzten Jahrhundert bei den Sozialrevolutionären beobachten konnte, ging die Mehrheit der Täufer dabei einen (ihrem Glauben entsprechenden) Weg der Gewaltfreiheit, während andere Gründe fanden, ihre Ansichten auch mit Hilfe stärkerer Mittel durchzusetzen. Die Bauernaufstände ab 1524 sind hierfür das bekannteste Beispiel.
Die wahre Gefahr, die von den Täufern ausging
Für die Herrschaft von Adel und Klerus stellte die Bewegung eine reale Bedrohung dar. Weniger, weil die verschiedenen Aufstände nicht zu beherrschen gewesen wären, sondern weil das religiöse Gedankengut der Täufer ihnen die Legitimation und, wenn man so will, die Geschäftsgrundlage entzog.
Denn da die Täufer mit Verweis auf die Bergpredigt (Mt 5,33–37 LUT) den Eid ablehnten, weigerten sich die meisten Täufer auch, die damals üblichen Lehens- bzw. Gehorsamseide gegenüber der Obrigkeit abzulegen.
Ebenfalls auf der Bergpredigt (Mt 5,38–52 LUT) basiert die weitverbreitete Haltung, dass wahre Christen wegen des christlichen Gewaltverzichts weder als Richter, Soldaten noch Scharfrichter tätig sein, ja nicht einmal irgendein öffentliches Amt ausüben dürften. Denn letztlich hängt jedes öffentliche weltliche Amt mit der Androhung oder dem Vollzug irgendeiner Art von Gewalt (z. B. gerichtliche und polizeiliche Strafen) zusammen.
Für die Obrigkeit, den Kaiser, die Fürsten und den sonstigen Adel, stellten diese religiösen Umwälzungen also eine reale Gefahr dar. Denn wenn das Bodenpersonal ihre göttliche Legitimität nicht mehr anerkennen und ihnen den Eid flächendeckend verweigern würde, wären ihre Pfründe in höchstem Masse gefährdet gewesen. Die Bauernaufstände waren denn auch der äußere Anlass, nicht aber der eigentliche Grund, weshalb der Reichstag zu Speyer 1529 mit dem sogenannten Wiedertäufermandat die Grundlage für eine brutale Verfolgung der Täufer in ganz Europa schuf.
Das Wiedertäufermandat
Wer wiedergetauft oder sich der Wiedertaufe unterzogen hat, ob Mann oder Frau, ist mit dem Tode zu bestrafen, ohne dass vorher noch ein geistliches Inquisitionsgericht tätig zu werden braucht.
Wer sein Bekenntnis zu den Wiedertäufern widerruft und bereit ist, für seinen Irrtum zu sühnen, soll begnadigt werden. Er darf jedoch nicht Gelegenheit erhalten, sich durch Ausweisung in ein anderes Territorium einer ständigen Aufsicht zu entziehen und eventuell rückfällig zu werden. Die Hartnäckigkeit, auf täuferischen Lehren zu beharren, soll mit dem Tode bestraft werden.
Wer die Wiedertäufer anführt oder ihre Anweisungen vorantreibt, soll „keineswegs“, also auch bei Widerruf nicht, begnadigt werden.
Wer nach einem ersten Widerruf rückfällig geworden ist und abermals widerruft, soll nicht mehr begnadigt werden. Ihn trifft die volle Strafe.
Wer die Taufe für seine neugeborenen Kinder verweigert, fällt ebenfalls unter die Strafe, die auf die Wiedertaufe steht.
Wer von den Täufern in ein anderes Territorium entwichen ist, soll dort verfolgt und der Bestrafung zugeführt werden.
Wer von den Amtspersonen nicht bereit ist, nach diesen Anordnungen streng zu verfahren, muss mit kaiserlicher Ungnade und schwerer Strafe rechnen.
Verfolgung der Täufer
Die Täufer-Bewegung kam in der Folge unter großen Druck. Wichtige Exponenten wurden gefasst, gefoltert, umgebracht. Die Gemeinschaften wurden, wo immer sie als solche zu erkennen waren, aufgelöst. Die Ausübung der religiösen Überzeugung war unter Täufern für lange Zeit nur noch „privat“, also verdeckt möglich.
Die verbliebenen Anhänger passten sich den Verhältnissen an. Sie vermieden jedes öffentliche Aufsehen, übten ihre religiösen Handlungen im Privaten aus und nannten sich nicht mehr Täufer, sondern verwendeten unverfängliche Bezeichnungen. So ist im friesischen Raum die mennonitische Kirche entstanden. Ihr Name leitet sich von Simon Menno ab, einer ihrer wichtigsten geistigen Persönlichkeiten.
Ähnlich wie die Remonstranten, rekrutierten sich die Mennoniten aus einem bestimmten gesellschaftlichen Segment. Während die Remonstranten eher die bürgerliche Oberschicht abbildeten, waren die Mennoniten das, was man heute als Mittelschicht umschreiben würde. Alles durchaus qualifizierte, fleißige und in ihrem Gebiet erfolgreiche Menschen. Den schlauen Remonstranten war klar, dass sie genau diese Schicht, bestehend aus Handwerkern und kleinen Händlern brauchen würden, um einen funktionierenden städtischen Organismus aufzubauen.
Weshalb Herzog Friedrich III. zögerte
Herzog Friedrich III. war auch nicht dumm. Ihm dürfte der Nutzen der Mennoniten deshalb durchaus klar gewesen sein. Wenn er sich in einem ersten Anlauf dagegen aussprach, sie mit ins Boot zu nehmen und ihnen Niederlassungs- und Glaubensfreiheit in Friedrichstadt anzubieten, dann nur deshalb, weil es politisch gefährlich war. Innenpolitisch, weil in seinem Herzogtum bereits eine reaktionäre Gegenbewegung der orthodoxen Lutheraner am Laufen war. Noch mehr religiöse Spannung wollte der Herzog zu diesem Zeitpunkt offenbar vermeiden. Außenpolitisch, weil Schleswig-Holstein-Gottorf teilweise ein Lehensgebiet im Heiligen Römischen Reich war. Und hier war das Wiedertäufermandat immer noch in Kraft.
Herzog Friedrich III. zeichnete sich zeitlebens als großer Taktierer aus, welcher seine ungünstige Stellung zwischen den Mächten ständig auszutarieren wusste. Ohne Not wollte er seine fragile Position deshalb nicht gefährden.
So hielt er es schlussendlich wie die Mehrzahl seiner Standesgenossen: Er schaute zuerst weg, und als die geschaffenen Fakten zu keinen sichtbaren Reaktionen von außen führten, gewährte er den Mennoniten in einem zweiten oder dritten Anlauf (so richtig klar ist das nicht) seinen Segen. Allerdings mit der konkreten Forderung verbunden, dass sie sich politisch und religiös in Zurückhaltung üben müssten. Für die Mennoniten war das vermutlich keine Herausforderung, entsprach es doch in vielen Bereichen ihrer Grundüberzeugung.
So kam es, dass die Täufer auch in Friedrichstadt Fuß fassen konnten. Sie entwickelten sich rasch zu einer tragenden Säule der Stadt. Die Remonstranten wussten sie offensichtlich zu schätzen, denn sie bezogen sie früh in die Verwaltung der Stadt ein. Angst musste man vor ihnen auf jeden Fall zu keinem Zeitpunkt haben.