400 Jahre Friedrichstadt
9. Der Papst, Friedrichstadt und die Sache mit der Toleranz
Friedrichstadt feiert im Jahr 2021 sein vierhundertjähriges Jubiläum. Es gibt auch in Nordfriesland Gemeinden, deren Geschichte doppelt oder dreimal so viele Jahre zählen. Aber keine davon kann sich damit rühmen, bereits vor der Gründung Spielball der mächtigsten Kräfte Europas und der Welt gewesen zu sein. In der neunten Folge von „100 Geschichten zu 400 Jahre Friedrichstadt“ zeigen wir auf, welche Rolle der Papst bei der Stadtentwicklung spielte. Oder besser: Die Päpste, denn es war mehr als ein Papst in diesen Prozess eingebunden.
Friedrichstadt – Zugang zum aufstrebenden Überseehandel
Schon im 16. Jahrhundert verlor der Handel im Bereich der Ostsee im Vergleich zu den Handelsaktivitäten an der Nordsee an Bedeutung. Grund war der aufkommende Handel mit Übersee. Die Niederländer bewiesen hier mit neuartigen Finanzierungsmodellen für den Handel großes Geschick. Noch befand sich die Entwicklung der Niederlande zum globalen Handelsriesen in den Kinderschuhen. Aber die Erfolge der fleißigen Calvinisten zeitigten schon derart deutlich Früchte, dass sie die Zeit gekommen sahen, sich von der Last des katholischen Königshauses zu befreien. Man mag dafür die religiösen Gründe in den Vordergrund rücken. Aber man wird den Niederländern kaum Unrecht tun, wenn man ihnen auch wirtschaftliche Beweggründe unterstellt. So oder so waren die Spanier nicht bereit, auf ihre Ansprüche an die Niederlande zu verzichten. Das stürzte die Region in einen achtzig Jahre dauernden Krieg (siehe die achte Geschichte unserer Reihe).
Dieser Krieg fand nicht nur auf dem Schlachtfeld statt. Die Spanier versuchten gleichzeitig, die Aufständischen durch ein Handelsembargo, wenn nicht auszuhungern, so doch entscheidend zu schwächen. So durften niederländische Schiffe spanische Häfen weder anlaufen noch war es erlaubt, mit niederländischer Ware im spanischen Einflussgebiet zu handeln.
Ein neuer Markt öffnet sich
Gleichzeitig litten die Spanier selbst unter einer Unterversorgung. Sie waren deshalb dringend darauf angewiesen, Nahrungsmittel zu importieren. Für Regionen wie Schleswig-Holstein-Gottorf, welche über hohe Überschüsse im Agrarsektor verfügten, bot sich hier eine Chance, diese gewinnbringend loszuwerden. Kein Wunder also, wenn Herzog Friedrich III. versuchte, einen Hafen an der Westseeküste (wie man damals die Nordseeküste nannte) aufzubauen.
Und da aber ein Hafen ohne funktionierende Handelsinfrastruktur (Schiffe, Handelsgesellschaften, Finanzierung, Versicherung) nichts wert ist, musste der Herzog größer denken. Mit den Remonstranten – so das Kalkül seiner niederländischen Berater – bestand die Möglichkeit, sich all diese Fähigkeiten samt passender Infrastruktur zu sichern.
Was sprach gegen einen Vertrag?
Während die technischen Probleme am Heimatstandort lösbar schienen, bzw. man daran arbeitete, sie einer Lösung zuzuführen, galt es nun die Spanier von der Nützlichkeit einer solchen Geschäftsverbindung zu überzeugen. Herzog Friedrich III. trat deshalb in Verhandlungen mit dem spanischen König ein.
Folgende Probleme standen einer Regelung im Weg:
- Die Spanier wollten auf jeden Fall verhindern, dass die abtrünnigen Provinzen ihre Ware über den Umweg Friedrichstadt nach Spanien bringen könnten. Gerade der Migrationshintergrund der Remonstranten, welche mit Sicherheit – allen religiösen Streitigkeiten zum Trotz – über gute Verbindungen ins Heimatland verfügten, weckte natürlich rasch solche Befürchtungen. Und wie sollte man diesen Missbrauch erkennen? Gerade bei wenig verarbeiteten Lebensmitteln war hinsichtlich des Ursprungs der Ware kaum ein Unterschied auszumachen.
- Die Schiffe der Remonstranten stammten aus den Niederlanden, bzw. waren von holländischer Bauart. Auch sie konnte man von niederländischen Handelsschiffen nicht unterscheiden. Das würde einen geregelten Handelsverkehr zusätzlich erschweren.
- Zur Zeit der Gründung von Friedrichstadt war die Gegenreformation bereits in vollem Gange. Das eng mit dem Papst und der römischen Kirche verbundene Spanien musste befürchten, dass der Handel mit dem lutherischen Schleswig-Holstein die religiösen Gegner stärken und ihnen die Möglichkeit bieten würde, über die Besatzung religiöse Propaganda ins spanische Reich zu tragen.
Der Papst – der unsichtbare Mitspieler am Tisch

Papst Gregor XV.
Trotzdem traten die Spanier in Verhandlungen mit dem Herzog. Wobei es offensichtlich war, dass trotz der Unterversorgung der Bevölkerung den Gottorfern mehr an einer vertraglichen Regelung lag als den Spaniern. Entsprechend war es an Herzog Friedrich III., dem spanischen König Philipp IV. bzw. dessen Vertreterin in den (verbliebenen Provinzen der) Niederlande die Angelegenheit schmackhaft zu machen. Und genau hier kommt Papst Gregor XV. ins Spiel.
Wir befinden uns in der Zeit der Gegenreformation. Nachdem Martin Luthers 95 Thesen vor rund hundert Jahren dazu geführt hatten, dass sich immer mehr Menschen, Länder und ihre Fürsten von der römischen Kirche getrennt und sich einer reformierten Glaubensrichtung angeschlossen hatten, fanden der Papst und seine Getreuen, dass es nun genug sei. Dass man den Zerfall der Macht nicht nur aufhalten, sondern rückabwickeln sollte.
So gründete Papst Gregor XV. im Jahre 1622 die „Kongregation zur Verbreitung des Glaubens“, deren Auftrag es war, die durch die Reformation verlorenen Gebiete für die römisch katholische Kirche zurückzugewinnen. Man ging dabei strategisch vor und unterteilte das abtrünnige Europa in verschiedene Missionsgebiete. Norwegen und Dänemark bildeten ein solches Missionsgebiet. Es unterstand der Brüsseler Nuntiatur.
Nicolaus Jansenius – der Vermittler
Da Missionieren in Dänemark nicht möglich war, weil dies der dänische König Christian IV. bei Androhung der Todesstrafe verbot, versuchte man erst über verdeckte Aktionen zum Erfolg zu kommen. In klassischer Undercover Manier wurden Geistliche nach Dänemark und Schweden entsandt, um sich dort als brave Kaufleute zu etablieren und ihr missionarisches Werk im Untergrund zu vollziehen. Ein bekannter Name in diesem Zusammenhang ist der des Jesuiten Arnold Weisweiler, welcher sich als fähiger Kaufmann auszeichnete und höchst erfolgreiche Geschäfte in Malmö betrieb. Trotzdem hatten die Verantwortlichen in Brüssel Zweifel, ob diese Strategie auf Dauer zielführend sei. Dies, nachdem der ein gewisser Nicolaus Jansenius Boy, Präfekt der dominikanischen Schule in Antwerpen, Dänemark bereist und sich ein Bild von der dortigen Lage gemacht hatte.
Eben dieser Jansenius wurde in der Folge von Van den Hove, dem Berater des Herzogs in Sachen Friedrichstadt und dem Aufbau eines Handelszentrums, als Vermittler zwischen dem spanischen und dem Gottorfer Hof empfohlen. Wobei es eigentlich auf ein Dreiecksgeschäft zwischen Papst, König und Herzog hinauslief.
Denn der Deal, den der Herzog – wohl als Ergebnis der Gespräche mit Jansenius – den Spaniern vorschlug war: Katholiken sollten in Friedrichstadt das Recht auf freie Religionsausübung erhalten. Die Friedrichstädter im Gegenzug die Möglichkeit bekommen, des Königs Häfen anzusteuern und dort Ware zu löschen.
Friedrichstadt – das Einfallstor des Katholizismus
Jansenius beabsichtigte über den Umweg der freien Niederlassung und Religionsausübung, Friedrichstadt zu einem Stützpunkt, einem Vorposten zur Re-Missionierung zu machen. Eigentlich ganz im Sinne des Papstes und der Glaubenskongregation. Doch diese sahen das nicht ganz so.
Denn ausgerechnet die Glaubenskongregation unter dem Vorsitz von Papst Urban VIII. befürchtete nun, dass eben dieser Vertrag dazu verwendet werden könnte, das Gedankengut der Reformatoren nach Spanien zu tragen. Deshalb verbot das Gremium Jansenius am 17. April 1624 per Beschluss weiter in der Sache tätig zu sein.
Doch dieser gab nicht klein bei und versuchte über alle Kanäle, die ihm offenstanden, die Römische Zentrale umzustimmen. Schließlich willigten Papst Urban VIII. und die Glaubenskongregation ein. Vielleicht nicht in erster Linie, weil sie von der Sache überzeugt waren, sondern weil ihnen klar gewesen sein musste, dass auch dem spanischen Hof an dem Handel gelegen war, und man entschlossen war, diesen notfalls auch ohne die Zustimmung des Papstes abzuschließen.
Am Ende stand ein Vertrag, welcher Schleswig-Holstein zwar den Zugang zu spanischen Häfen verschaffte, der aber gleichzeitig auch verschiedene (einschneidende) Einschränkungen mit sich brachte, um zu verhindern, dass Kriegsgegner von der Regelung profitieren konnten. Umgekehrt brachte das Abkommen für die Katholiken die Niederlassungsfreiheit im Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf, beschränkte deren religiösen Tätigkeiten jedoch auf Friedrichstadt.
Umgedrehte Verhältnisse
Paradoxerweise löste diese Regelung in Rom beim Papst und seinen Freunden großen Optimismus aus. Offensichtlich hegte man nun die Erwartung, durch die gewährte Religionsfreiheit in Friedrichstadt würde das Herzogtum zum Einfallstor des Katholizismus gen Norden werden. Ja man soll sogar von der Möglichkeit gesprochen haben, Herzog Friedrich III. könnte zum katholischen Glauben konvertieren.

Christian IV. König von Dänemark und Norwegen
Jetzt da die Stimmung im Vatikan gekippt war, drückte Herzog Friedrich III. plötzlich auf die Bremse. Offenbar wuchs in ihm die Befürchtung, mit dem Vertrag seinen dänischen Lehensherrn zu verärgern. Schließlich war Christian IV. keiner, dem man den Vorwurf machen konnte, sich in Sachen religiöser Toleranz je zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben. War er es vielleicht möglich, dass er durch die Gewährung von Niederlassungsfreiheit und Glaubensausübung für Katholiken in Friedrichstadt nachhaltig verärgert würde?
Herzog Friedrich III. überwand seine Zweifel und so kam es Ende 1627 dann doch zum Abschluss der Vereinbarung. Friedrichstadt wurde per Vertrag zur Stadt der Toleranz. Und zu einem bei Schmugglern beliebten Handelsplatz, die danach trachteten, das spanische Handelsembargo gegenüber den abtrünnigen Niederlanden und den mit ihr verbündeten Engländern zu umgehen.
Das zu verhindern war die Aufgabe eines speziell für diesen Zweck eingesetzten Kommissars. Aber wie heißt es so schön?
Nichts ist so sicher geschützt, dass es nicht mit Geld erobert werden kann. (Cicero)
Aber das ist eine andere Geschichte und wird vielleicht in einer der kommenden Folgen behandelt.