400 Jahre Friedrichstadt

13. Religionsfreiheit und Stadtentwicklung – Was brachte niederländische Kaufleute nach Friedrichstadt?

Die Gründung der Stadt Friedrichstadt stand von Anfang an unter dem Einfluss des 30jährigen Krieges. Zu Beginn sah man wohl in den Verwerfungen gewisse Chancen für den geplanten Handelsplatz. Spätestens mit dem Kriegseintritt des Dänenkönigs Christian IV. wurde die Region jedoch ebenfalls von den Auswirkungen des Krieges erfasst. Diese bedrohten die Entwicklung des Handelsplatzes massiv. Friedrichstadt und der Krieg: Es ist kompliziert.

Des einen Leid, des andern Freud

Im Nachhinein ist man immer klüger. Der 30jährige Krieg wirkte sich auf die kontinentale Landwirtschaft verheerend aus. Mit zunehmender Dauer litten immer mehr Regionen unter einer Versorgungskrise. Den daraus resultierenden Hungersnöten fielen in der Folge Millionen Menschen zum Opfer.

Zu Beginn des Krieges schien es, als könnten verschont gebliebene Gebiete mit einem Überschuss bei der Lebensmittelproduktion wirtschaftlich profitieren. Auch Herzog Friedrich III. dürfte sich deshalb bei der Gründung von Friedrichstadt vor 400 Jahren Hoffnungen gemacht haben, aus dieser Konstellation einen Gewinn zu ziehen. Und das nicht nur durch den Export von Agrargütern. Auch im Bereich des internationalen Handels schien die Situation günstig, den aufstrebenden Provinzen in den Niederlanden ein Stück vom Kuchen wegzunehmen.

Eine Handelsmacht fußt auf vielen Faktoren

Um dieses Ziel zu erreichen, reichte es nicht aus, einen Hafen zu bauen und eine Stadt zu gründen. Damit der Handelsplatz erfolgreich wirken konnte, war Herzog Friedrich III. auf Fähigkeiten angewiesen, welche in seinem Einflussgebiet nicht vorhanden waren:

  • Eine Handelsflotte
  • Bestehende Handelsbeziehungen
  • Finanzdienstleistungen für die Finanzierung und Absicherung der Handelsgeschäfte
  • Fachliches Knowhow
Niederländische Kaufleute Handelsflotte 400 Jahre Friedrichstadt

Für den Erfolg der Pläne von Friedrich III. war es von entscheidender Bedeutung, dass die Kaufleute ihre Handelsflotte in den Deal einbrachten.

Exakt dieser Mangel war der Grund, weshalb er – bzw. seine Ratgeber und Vertrauenspersonen – danach trachteten, diese Lücke durch den Zuzug von Niederländern zu schließen. Dabei dürfte es kaum darum gegangen sein, möglichst viele Menschen für eine Umsiedlung zu gewinnen. Entscheidend war, die richtigen Leute anzulocken. Also Kaufleute mit den gesuchten Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Die Zahl der Kaufleute, welche die erforderlichen Bedingungen erfüllten, dürfte eng begrenzt gewesen sein. Außerdem waren diese Schlüsselpersonen gefragt. Denn nicht nur der Herzog in Gottorf trachtete danach, von deren Leistungsfähigkeit zu profitieren. Auch andere Fürsten und Städte versuchten sich dieses Potenzial zu erschließen.

Wie stark war der religiöse Druck auf die Kaufleute?

Doch weshalb sollten erfolgreiche Geschäftsleute – und nur solche waren für den Ausbau von Handelsgeschäften interessant – ihre Heimat verlassen? Wirtschaftliche Not war kein Argument. Mehr noch: Mit einem Wegzug riskierten sie, ihre gewachsenen Geschäftsbeziehungen zu gefährden. Es bedurfte also gewichtiger Argumente, all das Erreichte zurückzulassen, um an einem anderen Ort von vorne anzufangen.

Der Legende nach soll dieses Argument im Falle von Friedrichstadt die religiöse Karte gewesen sein: Friedrich III. bot den umworbenen Remonstranten in seiner neuen Stadt weitreichende Religionsfreiheit an. Doch war das tatsächlich das Killerargument? Zweifel an dieser Theorie sind angebracht.

Zwar steht außer Zweifel, dass die Remonstranten in Ihrer Heimat unter großem Druck standen. Allerdings kann dieser nicht so hoch gewesen sein, denn eine fluchtartige Migration scheint es in der Masse nicht gegeben zu haben. Vielmehr nahmen sich die Betroffenen ziemlich viel Zeit bei der Abwägung der Vor- und Nachteile eines Umzuges. Auch prüften sie ihre Möglichkeiten bezüglich der verfügbaren Zielregionen sehr genau. Dazu passt, dass sie sich genügend Zeit nahmen, die Bedingungen einer Ansiedlung mit ihren Gastgebern intensiv auszuhandeln.

Macht, Geld, Ansehen

Auch wenn zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Kapitalismus noch nicht erfunden war, galten schon damals marktwirtschaftliche Gesetze: Wo die Nachfrage das Angebot übertrifft, steigt der Preis. Zumal die Niederländer rein wirtschaftlich kaum Grund hatten, ihre Heimat zu verlassen.

Die These, Herzog Friedrich III. hätte die Remonstranten mit dem Versprechen der Religionsfreiheit nach Friedrichstadt gelockt, ist also bestenfalls unvollständig. In Wirklichkeit dürften – insbesondere bei der relevanten Zielgruppe – wirtschaftliche und politische Zugeständnisse des Herzogs deutlich gewichtigere Argumente gewesen sein als die freie Religionsausübung. Auf jeden Fall gab es einen Mix von Beweggründen, welche dafür verantwortlich waren, ob sich ein Kaufmann nun für oder gegen eine Migration, für oder gegen Friedrichstadt entschied. Diese waren:

  • Das Recht zur freien Religionsausübung
  • Steuerfreiheit
  • Zollerleichterungen
  • Darlehen
  • Handelsfreiheit
  • Politische Rechte

Neben diesen, durch den Herzog in Verhandlungen zugestandenen Vorteilen einer Übersiedlung, muss man auch berücksichtigen, dass wir von Unternehmerpersönlichkeiten sprechen. Es liegt im Naturell eines Unternehmers (wir sprechen vom 17. Jahrhundert, weshalb wir mit gutem Gewissen auf Gendersternchen verzichten können) Chancen zu erkennen und sie zu nutzen.

Das wirtschaftliche Potenzial von Friedrichstadt

Im Zusammenhang mit dem 30jährigen Krieg boten Schleswig-Holstein und das Projekt für Kaufleute klare Standortvorteile. Zumindest so lange, als das Herzogtum nicht in die Kriegsgeschehen involviert war. Diese bestanden unter anderem darin, dass die spanische Krone versuchte, die niederländischen Häfen vom Handel abzuschneiden, was anderen Standorten neue Möglichkeiten eröffnet hätte. Außerdem versprach der Export landwirtschaftlicher Produkte – etwa nach Spanien – und der Import von Waren für den Gottorfer Hof sichere und stabile Erträge.

Attraktive Rahmenbedingungen und positive Marktausblicke sorgten dafür, dass in den Anfangsjahren der Zustrom von Remonstranten beträchtlich war. Doch mit der Fortdauer des Krieges veränderten sich diese Faktoren. Und das nicht zu Gunsten Friedrichstadts.

 

 

Wie wichtig war die Religionsfreiheit für den Zuzug der Remonstranten?

Der 30jährige Krieg wird gerne mit den religiösen Verwerfungen dieser Zeit erklärt. Dies ist jedoch ebenso falsch (oder richtig), wie die Behauptung, die Remonstranten hätten ihr Land wegen der religiösen Verfolgung verlassen. Was geschah wirklich in den niederländischen Provinzen des frühen 17. Jahrhunderts? Wenn Sie mehr über den inner-niederländischen Konflikt erfahren möchten, lesen Sie die beiden Beiträge aus dem niederlandenet der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

 

Das wirtschaftliche Potenzial von Friedrichstadt

Im Zusammenhang mit dem 30jährigen Krieg boten Schleswig-Holstein und das Projekt klare Standortvorteile. Zumindest so lange, als das Herzogtum nicht in die Kriegsgeschehen involviert war. Diese bestanden unter anderem darin, dass die spanische Krone versuchte, die niederländischen Häfen vom Handel abzuschneiden, was anderen Standorten neue Möglichkeiten eröffnet hätte. Außerdem versprach der Export landwirtschaftlicher Produkte – etwa nach Spanien – und der Import von Waren für den Gottorfer Hof, sichere und stabile Erträge.

Attraktive Rahmenbedingungen und positive Marktausblicke sorgten dafür, dass in den Anfangsjahren der Zustrom von Remonstranten beträchtlich war. Doch mit der Fortdauer des Krieges veränderten sich diese Faktoren. Und das nicht zu Gunsten Friedrichstadts.

  • Der Handelsverkehr mit Spanien, welcher der Herzog mit dem Spanischen Hof vereinbart hatte, erwies sich als nicht so lukrativ wie erhofft.
  • Die Spanier betrachteten die umgeflaggten niederländischen Schiffe mit großem Misstrauen. Befürchteten sie doch, dass die Niederländer auf diesem Wege versuchen würden, etwa das Embargo von England zu umgehen. Was natürlich auch versucht wurde. Schikanen, Restriktionen und zusätzliche Kosten waren die Folge.
  • Mit Kriegseintritt des dänischen Königs ging ein wichtiger Vorteil des Standortes Friedrichstadt verloren: der Frieden.
  • Mit der Niederlage Christians IV. mussten sie zudem mit all jenen Kriegsnebenfolgen rechnen, unter denen auch andere Kriegsgebiete litten und zugrunde gingen. Unter anderem waren jetzt auch die Vermögenswerte der Friedrichstädter akut gefährdet.
  • Während sich die Standortvorteile Friedrichstadts objektiv verschlechterten, verbesserte sich die subjektive Situation in der alten Heimat. Es bestand mehr und mehr die Hoffnung, von den ärgsten Folgen des 30jährigen Krieges verschont zu bleiben.
  • Schließlich wandelte sich die Befürchtung in Gewissheit, als das Herzogtum Schleswig-Holstein Gottorf durch die Truppen des Kaisers unter Wallenstein besetzt wurde. Auch Friedrichstadt hatte in der Folge die Kriegslasten zu tragen.

Ob Herzog Friedrich III. die Chancen, welche der 80jährige bzw. der 30jährige Krieg boten, um sich einen Teil des Nordseehandels zu Lasten der Niederländer zu sichern, oder ob es – wie Jörn Norden in seiner Publikation „Legenden und Wirklichkeit“ es nahelegt – in erster Linie um die Befriedigung der Binnennachfrage ging, ist schlussendlich nicht von Bedeutung. Der 30jährige Krieg minderte auf jeden Fall die Chancen ganz wesentlich, dass sich die Dinge nach Plan entwickeln würden.

Tatsächlich kann man ziemlich gut nachweisen, dass der Zustrom an Remonstranten durch die Entwicklungen des 30jährigen Krieges zumindest gebremst wurde. Nach dem Krieg, als in den Niederlanden die Religionsausübung deutlich freier gestaltet werden konnte und sich das Land (eigentlich die Region) zur weltweit führenden Handelsmacht aufschwang, war der Wettbewerbsvorteil des Standortes Friedrichstadt definitiv dahin. Für kühl kalkulierende Kaufleute gab es da keinen Grund mehr, sich zu verändern.

 

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