400 Jahre Friedrichstadt

7. Karl V.  – der Vorbote des Scheiterns

Man sieht es der kleinen Stadt nicht an. Aber schon vom ersten Moment, da die Gründung Friedrichstadts Gestalt annahm, war das Projekt ein Spielball der großen Weltpolitik. Natürlich kein wirklich bedeutender, aber ein Element, an welchem man auf kleinstem Raum und innerhalb kürzester Zeit die politische Entwicklung Europas nachvollziehen kann. Das ist auch der Grund, weshalb wir hier in den „100 Geschichten über die Geschichte“ den Gründungsjahren so viel Raum reservieren. Die siebte (und achte) Geschichte handelt von der Rolle, welche Spanien bei der Umsetzung der Pläne von Herzog Friedrich III. gespielt hat.

Warum Friedrichstadt ist, was es ist

Jedes Kind der Stadt weiß, dass es die Niederländer waren, welche Friedrichstadt vor 400 Jahren aufgebaut haben. Man kann dies noch heute am holländischen Baustil ablesen. Das ist natürlich eine grobe Vereinfachung der Verhältnisse. Denn die Zeit, in denen die Stadt mehrheitlich von Menschen aus den Niederlanden bevölkert war, dürfte relativ kurz gewesen sein. Der Hauptteil der Bevölkerung bestand bald aus Lutheranern der Region, denen die eher grobe Arbeit zugedacht war.

Während also viel von den Holländern die Rede ist, spricht von den Spaniern kaum jemand. Dabei war deren Einfluss auf die Stadt genau genommen größer als jener der Niederländer. Natürlich nicht in Bezug auf den Baustil, die übliche Kleiderordnung, die Verwaltungsprinzipien oder die Landentwässerung. Aber sie waren es, welche vorab in der Zeit von ca. 1620 – 1640 dafür verantwortlich waren, was aus Friedrichstadt geworden ist. Oder besser: was aus Friedrichstadt am Ende eben nicht geworden ist.

Karl V. – unter anderem König von Spanien

Um zu verstehen, weshalb dies so war, müssen wir weit in die Zeit vor der Gründung der Stadt zurückblicken. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts gab es in Europa und der Welt (oder was man damals als „Welt“ ansah) nur eine Macht: die Spanier. Diese hatten sich dank ihrer Fähigkeiten auf hoher See ein Reich aufgebaut, in welchem gemäß König Karl V. die Sonne niemals unterging.

Spanish Empire

Die Spanier waren so erfolgreich, dass sie die Begehrlichkeit der Habsburger weckten. Das Herrschaftshaus war zu dieser Zeit so etwas, was man heute als „Heuschrecken“ bezeichnen würde. Die Österreicher hatten sich nämlich darauf spezialisiert, sich durch eine geschickte Heiratspolitik große Teile Europas friedlich, aber hocheffizient einzuverleiben.

Oben genannter Karl V. (in Spanien wird er als Carlos I. geführt) regierte deshalb nicht nur in Spanien, sondern war u.a. gleichzeitig auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und damit (wichtig!) der irdische Schutzherr der katholischen Kirche.​

So wurde Europa vererbt

Karl V. wurde am 24. Februar 1500 als Karl von Burgund, Erzherzog von Österreich in Gent geboren. In den Niederlanden – zu dieser Zeit eine spanische Provinz – verlebte er auch den größten Teil seiner Jugend. Neben seiner französischen Muttersprache (der Sprache der flämischen Aristokratie) erlernte er hier auch Latein und Niederländisch. Deutsch sprach er trotz seines Titels und seiner familiären Herkunft kaum. Spanisch musste er sich im Alter von 17 mühsam aneignen.

Um ein Verständnis über die Funktionsweise der habsburgischen Machtanhäufung zu erhalten, ist es hilfreich sich anzusehen, was Karl V. von seinen Großeltern geerbt hat:

von Maximilian I.: das Erzherzogtum Österreich

von Maria von Burgund: das Herzogtum Burgund, die burgundischen Niederlande

von Ferdinand II.: die Länder der Krone von Aragonien einschließlich Neapel, Sizilien und Sardinien

von Isabella I.: die Länder der Krone von Kastilien mit den neu eroberten Überseegebieten

Das Reich von Karl V.

Wahlkampf mit unfairen Mitteln

Nach dem Tod von Kaiser Maximilian I. im Januar 1519 entbrannte ein Kampf um dessen Titel des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, welcher nicht vererbt wurde, sondern durch eine Wahl verliehen wurde. Das Wahlgremium, das sogenannte Kurfürstenkollegium, bestand aus drei geistlichen (den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier) sowie vier weltlichen Fürsten (dem König von Böhmen, dem Herzog von Sachsen, dem Markgrafen von Brandenburg und dem Pfalzgrafen bei Rhein). Die offiziellen Kandidaten neben Karl waren Franz I. von Frankreich und Heinrich VIII. von England. Daneben wurden aber immer wieder weitere Kandidaten ins Spiel gebracht.

Das beherrschende Thema des Wahlkampfes war so etwas, wie eine europäische Idee. Die beiden aussichtsreichsten Bewerber, Karl und Franz I, beschworen eine Art übergeordnete politische Einheit, welche kriegerische Konflikte zwischen den Einzelstaaten verhindern könnte. Die Tatsache, dass die Interessensgebiete von Karl, dank seines spanischen Weltreiches, weit über Europa hinausgingen, gereichte ihm in dieser Frage aber zum Nachteil: Würde er sich dieser Angelegenheit mit der notwendigen Priorität widmen oder andere Ziele verfolgen?

Dank einer großzügigen, von Jakob Fugger finanzierten, Spende an die Adresse der Kurfürsten, konnten diese Fragen überzeugend beantwortet werden. Karl wurde am 28. Juni 1519 zum König des Heiligen Römischen Reiches gewählt. Am 26. Oktober 1520 ernannte ihn dann Papst Leo X. zum Kaiser.

 

Karl V., der König unter den Titelträgern

Der offizielle Titel von Karl V. gibt einen Einblick in die Welt der Habsburger und ihre Strategie, sich Europa anzuheiraten:

Karl V. König Spanien Kaiser Heiliges römisches Reich 400 Jahre Friedrichstadt

Kaiser Karl V. herrschte über ein globales Imperium, in dem „die Sonne niemals unterging“; Gemälde von Rubens

Wir, Karl der Fünfte, von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, immer Augustus, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, in Germanien, zu Kastilien, Aragon, León, beider Sizilien, Jerusalem, Ungarn, Dalmatien, Kroatien, Navarra, Granada, Toledo, Valencia, Galicien, Mallorca, Sevilla, Sardinien, Córdoba, Korsika, Murcia, Jaén, Algarve, Algeciras, Gibraltar, der Kanarischen und Indianischen Inseln und des Festlandes, des Ozeanischen Meers &c. König, Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund, zu Lothringen, zu Brabant, zu Steyr, zu Kärnten, zu Krain, zu Limburg, zu Luxemburg, zu Geldern, zu Kalabrien, zu Athen, zu Neopatria und zu Württemberg &c. Graf zu Habsburg, zu Flandern, zu Tirol, zu Görz, zu Barcelona, zu Artois und zu Burgund &c. Pfalzgraf zu Hennegau, zu Holland, zu Seeland, zu Pfirt, zu Kyburg, zu Namur, zu Roussillon, zu Cerdagne und zu Zutphen &c. Landgraf im Elsass, Markgraf zu Burgau, zu Oristan, zu Goziani und des Heiligen Römischen Reiches, Fürst zu Schwaben, zu Katalonien, zu Asturien &c. Herr zu Friesland und der Windischen Mark, zu Pordenone, zu Biscaya, zu Monia, zu Salins, zu Tripolis und zu Mecheln &c.

Lange Worte, kurzer Sinn

Die Daten und Namen sind nicht weiter von Belang. Wichtig zu wissen ist einzig, dass die Politik schon immer korrupt war und dass Karl V. zu einer Zeit der irdische Verteidiger des Abendlandes (Abendland -> Christentum -> katholische Kirche) war, als es in Europa in religiöser Sicht lichterloh brannte. Die Reformation, von Luther 1517 in Gang gesetzt, fegte wie ein Buschfeuer über das Land. Die damit verbundenen Kämpfe erreichten 1523 auch die Niederlanden.

Auch sonst lief es für Karl V. nicht besonders gut. Seine „europäische Idee“ vermochte er allein auf der Basis von Überzeugungsarbeit nicht umzusetzen. Zu zersplittert war sein Reich – ein Umstand, welcher sich durch den religiösen Graben, welcher sich bald durch das Heilige Römische Reich zog – noch weiter verfestigte. Egal was er unternahm, um das Reich zu einen, es war praktisch unmöglich, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Zu unterschiedlich waren die Interessen. Zu groß war die Angst, der Kaiser könne ein zu großes Gewicht erhalten. Auch in dieser Beziehung war das Ganze also typisch europäisch.

Sein Versuch, genau dieses Gewicht durch eine militärische Hegemonie zu erreichen, verwickelte ihn in zahlreiche größere und kleinere Kriege, in denen sein Konkurrent um den Kaiserthron regelmäßig involviert war. Franz I. war es auch, welcher immer wieder versuchte, einen Keil in den religiösen Graben zwischen die einzelnen Fürsten zu treiben.

Der Achtzigjährige Krieg

So kam es, dass die Kluft zwischen dem katholischen Königshof Spaniens und den reformierten Gebieten immer größer wurde. Besonders in den Niederlanden, wo das Bürgertum ein bisher nie dagewesenes Maß an Selbstbewusstsein aufbaute, und man sich deshalb immer unwilliger zeigte, eine spanische Herrschaft – zumal eine von katholischem Glauben – zu akzeptieren, wurde das zum Problem.

Im sogenannten Achtzigjährigen Krieg (1568 bis 1648), versuchte der Spanische Hof nicht nur die Herrschaft über die abtrünnigen Provinzen in den Niederlanden zu behalten (bzw. sie wiederzuerlangen), sondern gleichzeitig auch die Calvinisten zurückzudrängen. Diese jahrzehntelange Auseinandersetzung war es, welche das Schicksal von Friedrichstadt nachhaltiger bestimmte, als es jeder noch so fleißige Remonstrant je hätte tun können.

Fortsetzung folgt.