Grußwort des Bürgermeisters
Liebe Jubelgemeinde,

Nein, das ist nicht Joan Willemsz Verdam, sondern ein Herr gleichen Alters und ähnlichen Namens.
die Leute von 400-jahre-friedrichstadt.de sind mit der Bitte an mich herangetreten, ein kurzes Grußwort an die Jubelgemeinde zu richten. Dem komme ich sehr gerne nach. Denn Hand aufs Herz: Wer hätte bei einem solchen Anlass mehr zu sagen als der allererste Bürgermeister der Stadt?
Allerdings gehe ich davon aus, dass Sie noch nie etwas von mir gehört haben. Ist ja auch schon eine Weile her, seit ich mein Amt im Jahre 1633 angetreten habe. Und damals war es noch nicht üblich, sich als Politiker vor jeden – wie nennen Sie das? – Fotoapparat? – zu werfen.
Eitelkeit gab es natürlich schon zu meiner Zeit, aber damals musste man sich die leisten können. Auf Kosten der Stadt konnte man sich in den Gründerjahren noch nicht in Pose setzen. Für die Bildergalerie hatten wir damals kein Geld. Aus diesem Grund müssen Sie im Rathaus gar nicht nach einem Bild von mir suchen.
Ich habe mir lange überlegt, welche Frage Sie mir stellen würden. Nach reiflicher Überlegung bin ich mir nun ziemlich sicher, dass es die Frage nach dem Warum ist, welche Ihnen zuvorderst auf den Lippen liegt: Warum sind Sie nach Friedrichstadt gekommen?
Doch warum sollte ich eine Frage beantworten, deren Antwort offensichtlich auf der Hand liegt? Wäre es nicht viel interessanter für Sie zu erfahren, weshalb ich geblieben bin?
1633, in dem Jahr, in dem ich mein Amt als Bürgermeister antreten durfte, war der Grund, weshalb wir in den Norden gezogen sind, weitgehend verschwunden. Wir hätten also auch in unserer alten Heimat unsere Vorstellung von unserem Glauben mehr oder weniger frei ausüben können. Die religiösen Wirren, die nach der Synode von Dordrecht dazu geführt hatten, dass viele Remonstranten das Land verlassen haben, waren überwunden. Trotzdem sind viele von uns geblieben. Weshalb nur?
Auch bot Friedrichstadt in den ersten Jahren noch längst nicht das, was man uns bei der Anwerbung versprochen hatte. So glich die Stadt im Frühsommer 1624, als ich mit meiner Familie eintraf, eher einer Baustelle als einem einladenden neuen Heimatort. Die Handelsgeschäfte, welche man uns in Aussicht stellte, erreichten bei weitem nicht den Umfang, den wir uns erhofft hatten. Und statt eine Selbstverwaltung der Stadt nach alter niederländischer Tradition zu organisieren, wurden wir von einem herzoglichen Statthalter schikaniert, der es bedauerlicherweise schaffte, wichtige Hoffnungsträger aus Friedrichstadt zu vertreiben. Und trotzdem: Die meisten von uns sind geblieben. Weshalb?
Weil wir allen Schwierigkeiten zum Trotz ein gutes Leben in Friedrichstadt hatten. Von den schlimmsten Folgen der Kriege, die unseren Kontinent in dieser Zeit heimsuchten und die Bevölkerung um ein Drittel reduzierten, blieben wir hier weitgehend verschont.
Aber vor allem hatten wir gemeinsame Ziele. Eine Vision, welche sich zwar am Ende nicht erfüllt hat, die uns aber die Hoffnung, den Mut und die Kraft gab, immer weiter voranzugehen. Hätten wir in unserer Heimat, den Niederlanden, mehr erreichen können? Vielleicht. Aber ich zweifle daran, ob es uns damit wirklich besser gegangen wäre.
Ich bin stolz auf das, was wir in Friedrichstadt erreicht haben. Wir haben aus dem Nichts eine kleine Stadt geschaffen. Allein auf der Basis einer Idee. Vielleicht ist die Entwicklung der Stadt später ins Stocken geraten, weil diese Idee verloren gegangen ist. Weil man nicht willens oder fähig war, sich einer neuen Idee zu verschreiben. Ich kann das nicht beurteilen, denn wie Sie wissen, bin ich schon seit über 350 Jahren tot.
Aber es wird wohl heute nicht anders sein als damals: Jede Idee hat ihre Zeit, und wer dies nicht erkennt, wird abgehängt. Selbst die Spanier, welche in meiner Jugend noch die ganze Welt beherrschten, mussten sich am Ende den niederländischen Städten beugen, weil sie mehr und mehr dazu übergingen, sich auf ihrem Erfolg auszuruhen.
In diesem Sinne möchte ich mein Grußwort an Euch mit der Aufforderung beenden, Euch nicht auf Euren Lorbeeren auszuruhen, sondern Euch ständig weiter zu entwickeln, Eure Führer* weise auszuwählen und Euch nicht von selbstgefälligen Statthaltern schikanieren zu lassen.
Euer
*Ach ja, ich habe gehört, bei Euch würden nun auch Frauen mitregieren. Gut so. Ändert aber nichts an meinem Ratschlag, sich von blasierten, eigenmächtigen Rechthabern zu trennen. Wir hätten das bei Adolph van Wael, Heer van Moersbergen schon viel früher machen sollen. Der noble Herr hat uns viele wertvolle Mitstreiter gekostet.