400 Jahre Friedrichstadt
10. Der 30jährige Krieg – dunkle Wolken im Anzug
Der Start von Friedrichstadt ist, wie wir in den letzten Folgen der 100 Geschichten zu 400 Jahre Friedrichstadt gesehen haben, nicht gerade in ein günstiges Umfeld gefallen. Die Zeit war geprägt durch religiöse Unruhen und den 80jährigen Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden. Aber das war noch längst nicht alles. Im Jahr 1618 begann mit dem sogenannten „Prager Fenstersturz“ einer der schrecklichsten Kriege, welche die Welt je gesehen hatte. Zu Beginn schien es so, als könne sich Friedrich III. und sein Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf relativ gut raushalten. Aber das Glück währte nicht lange und sollte die weitere Geschichte Friedrichstadts nachhaltig beeinflussen.
In der 10. Geschichte wollen wir uns weniger mit den Ereignissen von Friedrichstadt selbst beschäftigen, sondern vorab kurz die Hintergründe des Krieges kurz beleuchten. Das erlaubt uns nachher, die folgenden Verwicklungen richtig einzuordnen.
Der 30jährige Krieg in 900 Wörtern?
Was für eine Aufgabe! Mit dem 30jährigen Krieg wurden ganze Bibliotheken gefüllt. Und zwar große! Aber wir wollen hier kein Geschichtsstudium betreiben, sondern die Dinge kurz und möglichst eingängig auf den Punkt bringen. Doch das ist nicht einfach. Deshalb wird bewusst oder unbewusst vereinfacht und die Angelegenheit mit einer eingängigen These erklärt. Etwa so, wie man die Geschichte von Friedrichstadt so lange auf ein Minimum reduziert hat, dass am Ende die Story zwar schlüssig, aber leider nicht mehr authentisch daherkommt.
Beim 30jährigen Krieg lautet diese einfache These, dass sich katholische und reformierte Kräfte auf dem Höhepunkt der Gegenreformation bis aufs Blut bekämpft haben. Tatsächlich ist der religiöse Gegensatz eine der treibenden Kräfte des Konfliktes gewesen. Aber eben nur eine von vielen. Denn die Fronten lassen sich keineswegs nur an der religiösen Zugehörigkeit festmachen. Wir sollten deshalb einen anderen Ansatz nehmen.
Ordnung entsteht durch Fiktionen
Es gibt die Theorie, dass menschliche Gruppen von mehr als 100 Mitliedern nur dann zu einer sinnvollen Zusammenarbeit fähig sind, wenn sie sich an gemeinsamen Fiktionen orientieren können. Diese gemeinsamen Fiktionen, in Form von Geschichten und Mythen, schaffen Struktur und geben Halt. Fehlt dieser Halt, fallen die Gemeinschaften rasch auseinander.
Im 16. Jahrhundert waren die Menschen in Europa an diesem Punkt angelangt. Die jahrhundertelange Übung von überlieferten Mythen war so sehr in ins Blut der Menschen (insbesondere der Eliten) übergegangen, dass sie ohne jeden Zweifel daran glaubten und danach lebten. Doch dann kam die Reformation. Und plötzlich waren scheinbar in Stein gehauene Gesetze Bestandteil einer mehr oder weniger offen ausgetragenen Diskussion. Das betraf bei weitem nicht nur den religiösen Bereich, in denen das Interpretationsmonopol der katholischen Kirche von einem Moment auf den anderen zerbrochen war. Auch die Stände wollten sich plötzlich nicht mehr mit den herrschenden Bedingungen zufriedengeben und forderten Reformen, welche ihnen mehr Einfluss, Macht und Mitbestimmung geben sollten.
Die Waffe aus Amsterdam
Und dann waren da noch diese Niederländer. Die hatten es gewagt, sich gegen die Herrschaft der größten Weltmacht ihrer Zeit aufzulehnen. Und sie waren damit durchgekommen, weil sie eine bis heute wirkmächtige Waffe entwickelten: den Kapitalismus. Plötzlich waren es nicht mehr Adelige und Kleriker, welche die Rhythmustrommeln der gesellschaftlichen Entwicklung schlugen, sondern gewöhnliche Bürger. Nun, ganz gewöhnlich waren die natürlich nicht. Denn es war primär die gebildete Oberschicht, welche dank der Macht des Kreditwesens mit unvorstellbarer Wucht auf die Weltbühne trat.
Als sich die nur scheinbar natürliche Ordnung auflöste
Alles in allem war Europa am Ende des 16. Jahrhunderts in hellem Aufruhr. Das galt besonders im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die Reformation, welche hier ihren Ursprung nahm, mischte das Reich nicht nur im religiösen Sinne auf. Der Glaubenskrieg war ein weiterer Spaltpilz im fragilen Gefüge des Vielstaatenbundes, welcher die organisatorischen Schwächen des Reiches noch zusätzlich betonte (manche Quellen sprechen von einer Verfassungskrise, welche geherrscht haben soll, doch eine Verfassung im heutigen Sinne gab es damals natürlich noch nicht). Sicher ist: Weder die Reformation noch die Gegenreformation waren geeignet, die gesellschaftlichen Konflikte zu kitten und das fragile Gleichgewicht zwischen den Ständen auf ein solides Fundament zu stellen.
Es wäre eigentlich am Kaiser gelegen, Kraft seiner Reputation für den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu sorgen. Aber der Kaiser zeigte Schwäche, als er den Kampf um seine niederländischen Provinzen verlor. Das kostete ihn seine natürliche Autorität und damit die Fähigkeit, Konflikte ohne Kampf und Krieg für sich zu entscheiden. Das wiederum motivierte einflussreiche Mittelmächte innerhalb seines Reiches, mehr Macht, Einfluss, Mitsprache und Eigenständigkeit zu fordern.
Und dann war da noch jenes Bürgertum, welches sich anschickte, den in seinen Strukturen gefangenen Adel zu überholen und innerhalb kürzester Zeit weit hinter sich zu lassen.
Wenn sich die Gewissheit auflöst, beginnt das Chaos
So ist es, wenn sich absolute Gewissheit auflöst. Selbst kleinste Zweifel können in solchen Fällen dazu führen, dass am Ende das große Ganze in sich zusammenfällt. Keine Frage: Europa als Ganzes und das Heilige Römische Reich (wo die Reformation ihren Ursprung hatte) im Speziellen, standen zur Jahrhundertwende vor der Systemfrage: Wer würde in Zukunft das Sagen haben? Politisch, religiös, militärisch und wirtschaftlich. Niemand wollte bei dieser Neuverhandlung der Macht zu den Verlierern zählen. Und schon gar nicht war man bereit, dem Nachbarn links, rechts, unten oder oben zu erlauben, sich über einen zu stellen.
Unglücklicherweise agierten die Verantwortlichen nach dem „Prager Fenstersturz“ alles andere als besonnen und weise. So stürzte der 30jährige Krieg das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in die größte menschgemachte Katastrophe der Geschichte. Sie kostete rund einem Drittel der Bevölkerung auf deutschem Boden das Leben. Während unvorstellbar langen 30 Jahren war Europa auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht, einer neuen Gewissheit und einer neuen Ordnung. Der Krieg tobte hin und tobte her, weil er von außen mit Geld, Waffen und Kriegern befeuert wurde. In der Zeit von 1618 bis 1648 wurden Allianzen geschmiedet und genauso viele gebrochen. Immer wenn eine Partei die Oberhand gewann, trat eine weitere Partei in den Krieg ein, um zu verhindern, dass sich eine neue Hegemonialmacht herausbildete.
Herzog Friedrich III. – Feldherr wider Willen
Nicht dabei und am Ende doch mittendrin: der Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf Friedrich III. Es war offensichtlich, dass er versucht hat, sich aus den Streitereien herauszuhalten. Er hatte genug Probleme im eigenen Haus und tat sein Möglichstes, das Beste aus seiner schwierigen finanziellen Situation zu machen. Ein stehendes Heer und ein teurer Waffengang kamen ihm da ziemlich ungelegen. Trotzdem wurde er durch seinen dänischen Lehnsherrn am Ende doch in den Krieg hineingezogen. Mit – gerade für Friedrichstadt – folgenschweren Konsequenzen.