400 Jahre Friedrichstadt
5. Die Mennoniten – die stillen Schaffer
Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Von den Helden und nicht von den Wasserträgern. Wasserträger sterben einen frühen Tod, weil sie im Dienst einer großen Idee auf dem Schlachtfeld geopfert werden oder sich zu Tode schuften. Helden schuften nicht. Sie begründen große Ideen. Aber es gibt auch Wasserträger, die keine Bereitschaft zeigen, sich für Helden auf Schlachtfelder treiben zu lassen. Ihnen ist diese Geschichte gewidmet, denn sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Friedrichstadt nicht nur eine große Idee blieb, sondern auch aufgebaut wurde. Es sind die wahren Helden. Ihr Name: Mennoniten.
Es gehört zum Allgemeinwissen, dass Herzog Friedrich III. ab 1620 versucht hat, glaubensabtrünnige Niederländer, die Remonstranten, mithilfe von Zugeständnissen in Glaubens- und Steuerfragen in sein Herzogtum zu locken, um das von ihm zu gründende Friedrichstadt aufzubauen. Folgt man dieser Legende, haben sich tatsächlich einige dieser Remonstranten überzeugen lassen. Sie sind der religiösen Verfolgung entronnen, haben das vielversprechende Altona und Glückstadt links liegen lassen, sind aufs Brachland zwischen Eider und Treene gezogen und haben dort Friedrichs Stadt aufgebaut.
Echt jetzt?
Die Remonstranten bestanden nicht aus dem Querschnitt der niederländischen Bevölkerung. Welches Interesse sollte Friedrich III. daran gehabt haben, eine religiöse Splittergruppe ins Land zu holen und damit einen Konflikt mit seinem reaktionären Umfeld zu provozieren, wenn er dafür nur Durchschnitt bekommen hätte? Keines! Deshalb dürfen wir davon ausgehen, dass die Remonstranten genau jene Spezialisten waren, welche er für seine Pläne brauchte: die gebildete, wohlhabende Oberschicht, welche über spezielles Fachwissen im Bereich des Handels und des Küstenschutzes (Deichbau, Landentwässerung, Mühlentechnik) verfügte. Wie wahrscheinlich ist es, dass diese geistige Elite sich in die Niederungen des Haus- und Straßenbaus begeben hat? Null!
Das wusste auch Friedrich III. – weshalb die 100 versprochenen Häuser, die er bauen wollte, nicht für Siedler, sondern für Hilfskräfte gedacht waren. Und das wussten auch die Remonstranten, weshalb sie den Herzog dazu drängten, die Mennoniten mit ins Boot zu holen. Die Mennoniten ergänzten die Remonstranten ideal, weil sie sich mehrheitlich aus dem Milieu der Handwerker und Kleinhändler rekrutierten.
Mit anderen Worten: Die Remonstranten waren für die Pläne des Herzogs extrem wichtig. Sie brachten Wissen, Erfahrung, Beziehungen und Geld in die Verbindung ein. Aber die Stadt wurde nicht von Remonstranten aufgebaut, sondern von Mennoniten und Lutheranern (also Menschen aus der Region). Grund genug, sich einmal genauer mit der Religionsgruppe der Mennoniten auseinanderzusetzen.
Enttäuschte Hoffnungen
Die Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ausgelöst von Martin Luther in Deutschland, Huldrych Zwingli in der Schweiz und Johannes Calvin im französischen Sprachraum, war kein reiner theologischer Streit, sondern ein gesellschaftlicher Prozess, welcher ähnliche Wirkung hatte wie die kommunistischen Revolutionen im vergangenen Jahrhundert. Allein die Tatsache, dass man die Auslegung der Bibel, den Katechismus der Katholischen Kirche, die Deutungshoheit und die moralische Handlungsweise der Priester, der Bischöfe, Kardinäle, ja des Papstes infrage stellen konnte, kam einem Dammbruch gleich.
Hoffnungen wurden geweckt. Nicht nur in Glaubensfragen, sondern auch in sozialen Belangen. All diese Erwartungen wurden von den Reformatoren geweckt, aber selten befriedigt. Nicht einmal Martin Luthers engste Mitstreiter gingen dem großen Anführer der Reformation weit genug. Viele seiner Jünger, welche ihm begeistert folgten, interpretierten dessen Erkenntnisse breiter, radikaler, wütender. Im Falle von Luthers Thesen war die bekannteste Folge der Bauernkrieg, in dessen Folge sich Luther gegen die Aufständischen gestellt hat.
Das blutige Ende des freien Glaubens
Auch die Schweizer hatten Streit darüber, wie weit die Reformation der Glaubensausübung gehen sollte. Aus dieser Auseinandersetzung entstand eine Bewegung, welche wir heute als Täuferbewegung kennen. Die Anhänger dieser Bewegung forderten die „sofortige Herstellung einer staatsfreien evangelischen Kirche nach dem Vorbild des Neuen Testaments“. Die Bezeichnung „Täufer“ leitet sich aus der Tatsache ab, dass die Anhänger dieser Glaubensgemeinschaft die Kindstaufe ablehnten, weil sie dafür im Neuen Testament keine Belege fanden. Sie sahen eine Taufe nur dann als gültig an, wenn sie an Menschen vollzogen wurde, die zu einem eigenständigen freien Entscheid in dieser Frage fähig waren. Also im Prinzip erst im Erwachsenenalter.
Die Täuferbewegung war sehr erfolgreich. Viele Menschen in Europa – vorwiegend niederen Standes – schlossen sich ihr an. Allerdings darf man sich diese nicht als eine einheitliche Kirche vorstellen. Vielmehr handelte es sich um einen bunten Strauß mehr oder weniger organisierter Sekten. Auch die Täufer hatten ihren „Bauernaufstand“ und zwar in Form des „Täuferreichs zu Münster“. Hier übernahmen die Täufer die Macht der Stadt, etablierten für eine kurze Zeit eine Art Gottesstaat, um dann von den Truppen des Fürstbischofs Franz von Waldeck in einem zähen, langen Kampf niedergeschlagen zu werden. Die Niederschlagung glich einem Blutrausch, bei welchem Tausende Täufer niedergemetzelt wurden.
Entscheidend für die weitere Entwicklung der Täuferbewegung war jedoch nicht diese Niederlage, sondern der Reichstag zu Speyer 1529, in welchem der Kaiser und die Stände dieses Gemetzel nicht nur nachträglich guthießen, sondern – auch mit dem Segen Luthers – die Mitglieder der Täufer zu Verfolgten machten, welche um ihr Leben fürchten mussten.
Vom Schwören
Sowohl bei den Täufern, als auch später bei den Mennoniten spielt die Bergpredigt eine entscheidende Rolle. Hier besonders hervorzuheben ist Matthäus 5,33-37:
33 / Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist (3.Mose 19,12; 4.Mose 30,3): »Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten.«
34 / Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron;
35 / noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs.
36 / Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen.
37 / Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.
Die Entstehung der Mennoniten
Die Täufer litten danach stark unter Verfolgung und Repression. Sie mussten sich – soweit sie noch bestanden – neu organisieren. Wobei sie jeden Anschein vermeiden mussten, eben dieser Bewegung anzugehören.
Eine dieser Gemeinschaften befand sich im niederländisch-norddeutschen Raum. Ursprünglich eher eine hierarchisch aufgebaute Sekte mit apokalyptischer Naherwartung, entwickelte sie sich zumindest in Teilen zu einer pazifistischen, gewaltfreien Gemeinschaft. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung war die emsige Arbeit eines ehemaligen katholischen Priesters: Menno Simons.

Der Prediger Menno Simons reiste viel und sammelte in seiner Region die bestehende Täufergemeinde in einer Bewegung: den Mennoniten.
Der Friese formulierte gewisse Glaubensgrundsätze – welche man mehr als philosophische Glaubenserkenntnisse denn als Regelwerk verstehen sollte – und war emsig bemüht, im niederländisch-norddeutschen Raum die Anhänger der ehemaligen Täuferbewegung wieder zusammenzuführen. Diese Gemeinschaft ist heute bekannt unter dem Namen Mennoniten.
Codewort: Mennoniten
Die Bezeichnung Mennoniten mag ein Hinweis darauf sein, dass Menno Simons wertvolle Arbeit leistete und in der Gemeinschaft einen guten Namen hatte. Aber es bedeutet nicht, dass er eine Sonderstellung im Sinne eines Gründervaters oder eines Heiligen innehatte. Er war vielmehr der Notwendigkeit geschuldet, dass man einen unverbindlichen Schutznamen benötigte, um damit das reichsweite Wiedertäufermandat zu umgehen, das die Todesstrafe für Täufer im Römisch-Deutschen Reich vorschrieb. Fürsten konnten so Täufer in ihren Territorien ansiedeln, ohne formell das Wiedertäufermandat zu brechen.
Die Mennoniten und Friedrichstadt
Auch Herzog Friedrich, dessen Holsteiner Teil des Herzogtums Teil des Römischen Reiches war, wusste um dieses Problem. Deshalb nahm er den entsprechenden Passus aus dem Entwurf des ersten Oktrois von Willem van den Hove nicht in seine definitive Fassung auf.
Sie sind trotzdem gekommen. Still und leise. Friedrich III. soll davon gewusst, aber dezent seine Augen davor verschlossen haben. Die Mennoniten waren schlicht zu wichtig für das funktionierende Räderwerk des städtischen Organismus, als dass der Herzog auf Dauer hätte auf sie verzichten können. Niemand wusste dies besser als die Remonstranten, welche diese Entwicklung deshalb wohlwollend gefördert haben dürften.
Die Phase der stillschweigenden Duldung dauerte denn auch nicht allzu lange. Es ist sicher belegt, dass der Herzog den Mennoniten schon ab 1623 offiziell erlaubte, ihren Geschäften und ihrer Religion in Friedrichstadt nachzugehen. Allerdings ist das entsprechende Oktroi mit dem Zusatz versehen, sich „still und eingezogen zu halten…“ und „…niemand in Religionssachen weder heimlich noch öffentlich einige Ärgernis zu geben…“. Die Mennoniten sollten ihm tatsächlich keinen Anlass zur Klage bieten. Ganz im Gegenteil.
Fortsetzung folgt (kein Cliffhanger)
Von den Mennoniten, die einen ganz wesentlichen Beitrag zum Aufbau der Stadt geleistet haben, und deren Einfluss auf die heutige Wahrnehmung der Stadt vermutlich größer war als jener der Remonstranten, werden wir in 100 Geschichten zur Geschichte von 400 Jahre Friedrichstadt noch mehr hören. Zum Beispiel in der 6. Geschichte, in welcher darauf eingegangen wird, was die Glaubensgrundsätze der Mennoniten sind und weshalb diese Friedrich III. (und das Kaiserreich) so beunruhigten.
…da passt ja prima die Geschichte vom alten Bürgermeister, die ich Dir geschickt habe…