400 Jahre Friedrichstadt
14. Hugo Grotius
Es schweigen zwar unter den Waffen die Gesetze; aber nur die des Verkehrs, der Gerichte und des Friedens, aber nicht jene ewigen und für alle Zeiten geltenden Gesetze.
Hugo Grotius
Auf Messers Schneide
Steht eine Entwicklung auf Messers Schneide, sind es Kleinigkeiten, welche darüber entscheiden, ob die Situation sich in diese oder jene Richtung entwickelt. In den Anfangsjahren der Gründungsphase Friedrichstadts gab es ein paar Ereignisse, welche das Potenzial besaßen, dem Unternehmen zum Durchbruch zu verhelfen oder es zum Scheitern zu verurteilen.
In den vergangenen Folgen haben wir uns mit negativen Faktoren beschäftigt: den Wirren rund um den dreißigjährigen bzw. den achtzigjährigen Krieg. In diesem Beitrag geht es um den Versuch, eine bedeutende Persönlichkeit der Zeitgeschichte nach Friedrichstadt zu lotsen: Hugo Grotius, ein politisch denkender Rechtsgelehrter, dessen Einfluss bis in die heutige Zeit reicht. Wäre dieses Unterfangen von Erfolg gekrönt gewesen, hätte die Geschichte Friedrichstadts vielleicht eine ganz andere Entwicklung genommen.
Hugo Grotius – das Wunderkind
Grotius (niederländisch Huigh oder Hugo de Groot; * 10. April 1583 in Delft, Niederlande; † 28. August 1645 in Rostock) war das Kind einer wohlhabenden niederländischen Familie. Man sah in ihm eine Art Wunderkind, da er bereits im zarten Alter von 12 fließend Latein und Griechisch sprach und auch in der Lage war, in diesen Sprachen virtuos formulierte Verse zu verfassen, welche die Anerkennung von Gelehrten fanden. Kein Wunder also, dass Grotius bereits mit elf Jahren an der Universität Leiden studierte und dort die üblichen Kurse in den freien Künsten besuchte. Schon im Alter von 16 wurde ihm von der Universität Orléans die Ehrendoktorwürde verliehen. Und nicht nur das: Sein Ruf drang bis zum französischem Hofe, woraufhin ihn der sichtlich beeindruckte König Heinrich IV. der Öffentlichkeit als „le miracle de la Hollande“ präsentierte und ihm als Anerkennung eine goldene Kette mit seinem Bildnis als Anhänger verlieh.
Eine beispiellose Blitzkarriere
Seine Karriere hört sich atemberaubend an: Mit 16 Jahren erhielt er das Anwaltspatent. Mit 24 wurde er zum Staatsanwalt ernannt. Sechs Jahre später war er bereits Stadtsyndicus von Rotterdam. Alles beeindruckend, aber selbstverständlich nicht der eigentliche Grund für seine historische Bedeutung.
Sein hervorragender Ruf und die Begründung dafür, weshalb der Name Hugo Grotius bis heute einen respektheischenden Klang besitzt, basieren kurz gesagt auf zwei bedeutenden juristischen Thesen, welche im 17. Jahrhundert einen geradezu revolutionären Charakter entfalteten und die noch heute einen wichtigen Teil der Grundfesten des Völkerrechts bilden.
Bei der ersten ging es um den freien Zugang aller Nationen zu den Meeren dieser Welt. Er bestritt, dass eine wie auch immer geartete Macht das Recht besäße, mit dem Hinweis auf ihre Hoheitsrechte den freien Warenverkehr auf hoher See einzuschränken.
Mit der zweiten und bekannteren Publikation De jure belli ac pacis (libri tres) („Über das Recht des Krieges und des Friedens“) begründete er seinen Ruf als einer der Gründerväter des neueren Natur- und Völkerrechts. Das Buch erschien im Jahr 1625 in Paris und gilt als Grotius’ Meisterwerk. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde es in zahlreichen Auflagen herausgebracht.
Im Jahre 1625 war Hugo Grotius bereits ein Star in der alten Welt
Doch andererseits war Grotius zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr Herr seiner eigenen Geschichte. Weil er sich in diversen Streitschriften dafür aussprach, dass der Staat die Macht besitzen müsse, auch über geistliche und kirchliche Dinge zu entscheiden, entzweite er sich mit den orthodoxen Calvinisten. In diesem Zusammenhang war es auch nicht hilfreich, dass Grotius sich für eine friedliche Koexistenz der verschiedenen religiösen Gruppen aussprach (wofür der Staat zu sorgen habe) und generell der Auffassung war, dass sich die christlichen Glaubensrichtungen in den wesentlichen, nachvollziehbaren Belangen einig seien und nur in jenen Bereichen Differenzen bestünden, in denen erst eine zukünftige Offenbarung die Wahrheit an den Tag bringen würde.
Als der religiöse Streit in den Niederlanden entschieden und sich die orthodoxen Calvinisten durchgesetzt hatten, wurde den führenden Remonstranten – unter ihnen Hugo Grotius – der Prozess gemacht. Im Jahre 1618 verhaftete man den Juristen, enteignete ihn 1619 und verurteilte ihn gleichzeitig zu lebenslanger Haft. Allerdings wurde er danach nicht in einen Kerker gesteckt, sondern genoss eine Art Hausarrest. Dort durfte er nicht nur mit seiner Familie zusammenleben, sondern auch seine wissenschaftlichen Studien fortsetzen. Damit verbunden war das Recht, sich Bücher schicken zu lassen und diese auch wieder zurückzusenden. Genau dieses Privileg nutzte er im Jahr 1621, als ihm mit Hilfe seiner Frau, als „Büchersendung“ getarnt, die Flucht gelang.
Funfact:
Sowohl das Rijksmuseum in Amsterdam als auch das Museum Prinsenhof in Delft behaupten, im Besitz der zur Flucht genutzten Original-Bücherkiste zu sein.
Im Nachhinein kann man sagen, dass 1618 ein Wendepunkt im Leben des Hugo Grotius war. Ein eigentlicher Karriereknick ist nicht zu verzeichnen, denn in Bezug auf seine wissenschaftlichen Arbeiten und seinen persönlichen Ruf stand es auch nach seiner Verurteilung weiterhin bestens. Aber persönlich, so scheint es, hat er danach nicht mehr richtig Tritt gefasst. Weder in seiner Zeit im erzwungenen Exil, noch nach seiner Rückkehr in die alte Heimat (wo er später wieder rehabilitiert wurde und ihm seine Güter zurückgegeben wurden) oder irgendwo sonst auf einer Station seines Lebens. Der Überflieger konnte im echten Leben seiner Reputation und seinen Fähigkeiten wohl nicht richtig gerecht werden.
Wenn Sie mehr über das Leben von Hugo Grotius erfahren möchten, dann empfehlen wir Ihnen die Lektüre auf dieser Seite.
Wo ist der Bezug zu Friedrichstadt?
Vermutlich haben Sie festgestellt, dass Friedrichstadt in der bisherigen Beschreibung seines Lebens nicht vorkommt. Tatsächlich hat er es wohl auch nie bis in die neu gegründete Stadt geschafft. Aber es gab ernsthafte Bemühungen, ihn nach Friedrichstadt zu locken, indem man ihm dort die Direktorenstelle einer neu zu gründenden Akademie anbot.
Es scheint, als hätte er sich dieses Angebot auch ernsthaft überlegt. Vermutlich nicht nur, weil Friedrichstadt aus ideellen Gründen für ihn ein interessantes Projekt gewesen sein muss, sondern weil er in Paris von den Zahlungen des französischen Königs abhängig war. Und so wie man hört, flossen diese Gelder nicht wirklich zuverlässig…
Trotzdem: Hugo Grotius sagte Herzog Friedrich III. mindestens zweimal höflich, aber entschieden ab. Ausschlaggebend für seine Entscheidung soll die Entwicklung des 30jährigen Krieges und die Aussicht gewesen sein, dass die Truppen Wallensteins und Tillys Friedrichstadt besetzen könnten.
Was wäre wenn…
Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten, was geschehen wäre, wenn Hugo Grotius tatsächlich nach Friedrichstadt gekommen, die Akademie wirklich gegründet worden wäre. Zweifellos hätte das den Standort gestärkt. Vermutlich wäre es damit auch gelungen, mehr Familien aus dem gehobenen Kreis der Remonstranten nach Friedrichstadt zu locken.
Auch die Gründung einer Akademie, unter der Führung eines der unbestritten brillantesten Köpfe Europas, hätte dazu führen können, der Stadt mehr Anerkennung und Renommee zu verschaffen und ihren Ruf in die Welt hinauszutragen.
Wohin die Reise mit einer Galionsfigur wie Hugo Grotius hätte führen können, wird jedoch für immer Spekulation bleiben.
Sicher ist aber, dass er trotzdem seinen Einfluss auf die Stadt hatte. Denn das Stadtrecht, welches 1631 eingeführt wurde, steht ohne jeden Zweifel unter dem Einfluss der von Grotius geschaffenen und vertretenen Rechtstheorien.


Grotius, Hugo: Das Recht des Krieges und Friedens
Natürlich dürfte es unwahrscheinlich sein, dass die Leser und Leserinnen dieses Beitrages nach der Lektüre der Kurzvorstellung von Hugo Grotius das Bedürfnis verspüren, einen wissenschaftlichen Kommentar über sein Hauptwerk zu lesen. Wenn doch, dann kann man sich hier die entsprechende Literatur besorgen…
Allein die Tatsache, dass sein Lebenswerk, beinahe 400 Jahre nach seinem Tod immer noch in der Diskussion steht, zeigt die Bedeutung der Person Grotius.
Zeittafel
(Quelle: Mitteilungsblatt der GESELLSCHAFT FÜR FRIEDRICHSTÄDTER STADTGESCHICHTE Heft 17, S. 105 ff)
18.5.1619
Hugo Grotius (1583-1645) Dr. jur. und ehemaliger Oberstadtdirektor und Ratssyndikus von Rotterdam (ab 1613), erhält lebenslängliches Zuchthaus für angeblichen Hochverrat gegenüber den Staten Generaal der Vereinigten Niederlande.
5.6.1619
Beginn der Festungshaft zu Loevestein. Grotius schreibt dort Inleidinghe tot de hollandsche Rechtsgeleerdheyd und Bewijs van den waeren Godsdienst.
27.9.1619
Friedrich III., Herzog von Schleswig-Holstein (1597-1659), fertigt dem Neffen von Hugo Grotius, Willem van den Hove, nach dessen Entwürfen den OCTROI für die Erbauung Friedrichstadts durch aus Holland vertriebene Remonstranten aus.
4.10.1619
Gründung der Remonstrantisch-Reformierten Bruderschaft zu Antwerpen.
Januar 1621
Verhandlungen des Gottorfer Hofes mit der remonstrantisch-reformierten Bruderschaft in Antwerpen zwecks Gewinnung von Einwanderern nach Friedrichstadt beginnen.
22.3.1621
Versteckt in einer Bücherkiste entkommt Grotius aus der Feste Loevestein.
April 1621
Flucht über Antwerpen nach Paris, wo ihm Ludwig XIII. eine Pension gewährt.
8.8.1621
Korrespondenz von Dr. jur. Joan de Haen (1563-1627), ehemaligem Oberstadtdirektor und Ratssyndikus von Haarlem (nunmehr Staatsrat in Friedrichstadt) und Grotius (im Pariser Exil) beginnt über Grotius’ „…presentiealhier…“.
24.9.1621
Grundsteinlegung für das erste Haus in Friedrichstadt.
17.3.1622
Allgemein gehaltener Brief von Grotius an Friedrich III. und unter gleichem Datum an De Haen, in dem er die Verlegung seiner residentie nach Friedrichstadt in Aussicht stellt, falls er „…voor de gemeene saecke (d.i. das Allgemeinwohl der Remonstranten in der Zerstreuung) meer soude connen vorderen aldaer by U. E. (d.i. bei de Haen in Friedrichstadt) dan alhyer (in Paris)“ 2)
27.3.1623
Ernennung des Dr. Adolf van de Wael zum ersten und einzigen Stadholder von Friedrichstadt durch Friedrich III. Dieser war 1619 gemeinsam mit Grotius von der anti-remonstrantischen Synode von Dordrecht (1618/19) verurteilt worden.
18.4.1624
Brief an Grotius’ Schwager Nic. van Reigersbergh: wegen Fertigstellung seines Hauptwerkes De Jure Belli ac Pacis kann er die Einladung De Waels nicht annehmen.
März 1625
De Jure Belli ac Pacis erscheint in Paris.
11.7.1627
Hugos Gattin, Maria van Reigersbergh (1590-1653), schreibt ihm aus Den Haag, sie hätte mit Grevinchoven über Friedrichstadt gesprochen und über ihres Mannes mögliche Anstellung dortselbst und daß Grevinchoven ihm abriete.
ab 1628
zirkuliert die Inleidinghe tot de hollandsche Rechtsgeleerdheyd in Manuskriptform und wird diskutiert.
ab Jan. 1630
bereitet Grotius seinen Wegzug aus Paris vor, weil ihm wegen der Nichtzahlung der Pension die Geldmittel ausgegangen sind.
14.3.1631
Ausgabe der Inleidinghe tot de hollandsche Rechtsgeleerdheyd auf holländisch.
8.6.1631
Ablösung der provisorischen Stadtregierung Friedrichstadts.
25.6.1631
Auftrag an Marcus Gualtherus, ein Friedrichstädter Stadtrecht zu redigieren. Dieser Aufgabe entledigt sich dieser in einer außerordentlich knappen Zeitspanne.
19.10.1631
Sein Stadtrechtsentwurf wird bereits der herzöglich-gottorfschen Kanzlei zur Revision vorgelegt, die 1 1/4 Jahr in Anspruch nimmt.
29.10.1631
Hugo Grotius kommt in Rotterdam an und praktiziert bis Frühling 1632 unter dem Pseudonym „v. d. Linden“.
10.4.1632
Ausweisungsbefehl Hugo Grotius’ mit Auslobung von einem Kopfgeld von 2000 Gulden.
17.4.1632
Grotius verlässt Amsterdam mit Ziel Hamburg, wo er sich bis 1634 aufhält.
7.2.1633
Das in Gottorf revidierte Stadtrecht trifft wieder in Friedrichstadt ein.
Herbst 1633
Grotius wird nach Burigny von König Christian IV. von Dänemark in Glückstadt empfangen.
ab 16.5.1634
wird Grotius von dem schwedischen Reichskanzler Axel Oxenstierna, der ihn nach Frankfurt am Main eingeladen hatte, wegen einer Stellung umworben.
13.7.1634
Grotius tritt als nachmaliger Botschafter Schwedens in Paris, in schwedische Dienste ein.
5.3.1635
Einzug des Hugo Grotius in Paris.
1635
Willem de Hove verlässt völlig verarmt Friedrichstadt.